Nächtliche Explosion auf dem Klo

Ich erinnere es noch genau: Es war ungefähr 3:00h morgens und ich saß auf dem Pott. Tagelang hatte ich darüber nachgedacht, was man dagegen tun könnte, dass überall die schlechte Laune derart in Mode kam:

  • Anstatt sich zu freuen, war es angesagt, sich über alles zu beschweren, angefangen vom Bus, der schon wieder eine Minute zu spät war, den Chef, der zu viel verlangte, dass alles teurer wurde bis hin zu übellaunigen Kommentaren in Foren und als Antwort auf Beiträge im Internet. Hauptsache pöbeln, Hauptsache beleidigen.
  • Positives war zu selbstverständlich, um überhaupt benannt zu werden.
  • Geiz war schon lange geil und wenn etwas seinen wahren Preis kostete, war das eine Frechheit.
  • Auf die Frage "was willst du?" gab es im Gegensatz zu "was willst du nicht?" keine Antwort, aber was nicht gewollt war, wurde leicht über drei Stunden in allen Einzelheiten erzählt.

Ich fragte mich, warum es derart beliebt war, so die Sau rauszulassen. Natürlich kam mir auch keine Antwort, also blieb es bei zahlreichen Nachdenkungen über eine Pöbel-Alternative. Bis zu dieser denkwürdigen nächtlichen Sitzung auf meinem Donnerbalken: Übermüdet und geschwächt nach vollbrachter Tat saß ich noch kurz auf dem WC und schaute genauso erstaunt meine Katze an wie sie auch mich: Seit wann bewegte ich mich um diese Zeit durch die Bude?

Dann passierte es: Ein Geistesblitz durchfuhr mich. Plötzlich hellwach wurde mir klar, dass der Ansatz, gesellschaftliche Veränderungen zu wollen, damit die Pöbeleien weniger würden, nicht nur Schwachsinn war, sondern auch mir nicht entsprach.

Was aber, so dachte ich mir, wenn ich mir keine Zeit mehr zum Pöbeln nehmen würde, sondern dafür, Danke zu sagen? Das Gute betonen, anstatt auf dem Scheiss herumzureiten? Und as dann auch noch schriftlich unterstreichen, in Form einer kleinen lieben Karte, damit das Gegenüber Bescheid weiß, dass ich es ernst meine mit meinem Dank?

Geil, so konnte es gehen. Allerdings nicht lange: Mir wurde klar, dass ich gerade ein Buchprojekt gestartet hatte, meine Webseiten überarbeiten wollte, für die Fortbildung zu lernen hatte, und im Nebenjob eine Urlaubsvertretung zu machen war. Sonst noch was? Und jetzt noch so eine Kartenaktion starten, was ganz Neues entwickeln? WANN DENN, VERDAMMT?

Jetzt erlebten meine Katze und ich, wie es um meine eigene Freude stand: Ich rastete kurzerhand lautstark aus. Mitten auf dem Klo, kurz nach meiner Sitzung: "WAS DENN NOCH ALLES? VIELLEICHT AUCH NOCH EIN HAUS BAUEN, ODER SO??"

Ich bin nicht sicher, ob die Augen meiner Katze weiter aufgerissen waren als meine, aber so schnell habe ich sie noch nie verschwinden sehen. Ich glaube, sie ist beim Rennen nicht einmal aus der Kurve geflogen.

Nachdem ich mich wieder beruhigt und bei meiner Katze entschuldigt hatte, schlief ich einen wunderbaren Schlaf der Ahnungslosen und vergaß die ganze Geschichte wieder. Es war wirklich keine Zeit für solcherlei und Ablenkung hatte ich ja reichlich. Es dauerte übrigens Wochen, bis meine Katze sich wieder in die Nähe meines Donnerbalkens traute, wenn ich dort beschäftigt war.


Explosion in der Wurstbude

Wenige Wochen danach war ich mit einem Freund in der Innenstadt verabredet. Nachdem ich keine Zeitung lese und kein Nachrichtenjunkey bin, war mir entgangen, dass RedBull Formel 1 mit Sebastian Vettel zugegen waren. Die Stadt also komplett überfüllt mit echten Menschenmassen. Ein Fortkommen war nur zentimerterweise möglich, was meine Nerven ziemlich beanspruchte. Auf meinem anstrengenden Weg Richtung Kaffeehaus zogen wunderbare Düfte in meine Nase (wie gut dieser Trick doch immer wieder funktioniert): Frisch gebratene Würste. Prompt stand ich wie durch Zauberhand an diesem Stand und begehrte eine Wurst. Wie gefühlt 1000 andere Leute auch. Auf dem Grill lagen aber nur ungefähr dreissig herrliche duftende Bratwürste und eine einzelne Mitarbeiterin schuftete sich ab. Meine Stimmung, eh schon im Keller, drohte in Richtung Erdmittelpunkt abzurauchen.

Doch es kam anders: Die junge Mitarbeiterin hatte die Bude und die gefühlt 1000 hungrigen Mäuler dermaßen charmant im Griff, dass wir alle lachen mussten und ich hatte in fünf Minuten meine Wurst. Begeistert setzte ich mich in die Sonne auf dem Gehweg und genoß. Du ahnst, was passierte: Ich dachte, genau solche Situationen sind doch die, für die mir die Aktion mit den Karten eingefallen war. Jetzt dieser jungen Dame Danke sagen und mit der Karte Danke zeigen, das wäre es doch.

Hm, also, Zettel und Kuli raus, vorne den Text drauf den Du von der Karte kennst, hinten ebenso- auch den Text den Du von der Rückseite kennst. Aufgestanden und flugs wieder zum Würstelstand und der jungen Dame den Zettel gegeben mit den Worten: "Danke für deinen so grandiosen Job, du hast uns alle mit deiner fröhlichen und zugleich schnellen Art mehr als begeistert!" Sie schaute erst mich an, dann las sie meine kurzen Texte, dann wieder mich. Und dann: BEMM, sie explodierte förmlich durchs Zeltdach vor lauter Freude und Begeisterung. Sie konnte nicht aufhören zu strahlen und zu danken, "noch nie hat mir jemand Danke gesagt und dann auch noch soooo schön!"

Ich war begeistert und berührt zugleich. Irgendwie habe ich ihr zwar diesen Text auf einem Zettel geschenkt, aber ihr Freudenausbruch war ein so großes Geschenk an mich, dass ich noch Tage danach davon erzählte.

Farbexplosion in der Druckerei

Du musst daraus etwas machen, hörte ich nicht nur einmal. Also ab zu Mario, der in meiner Lieblingsdruckerei in Graz arbeitete. Bei Rehadruck arbeiten Menschen mit besonderen Bedürfnissen und ich liebe diesen Ort. Mario war gleich begeistert und ging an die Arbeit.

Eine Woche später trat ich an, meine erste Version der Freudekarten abzuholen. Im Eingang überlegte ich noch, wem alles in dieser Druckerei ich eine Karte geben wollte und blieb staunend in der Halle stehen. Überall schwarze Monitore und überall am Fuss des Monitors ein organgener Fleck. Strahlend begrüßte mich Mario: "Wir waren so begeistert von den Karten, dass wir gleich mehr gedruckt und sie uns gegenseitig verteilt haben!"

Jetzt war ich sprachlos. War diese nächtliche Idee so stark, dass gleich eine ganze Druckerei so ausflippt vor lauter Begeisterung? Rückblickend weiß ich: Die Aktion hat sich alleine schon wegen Mario und seinem Team gelohnt.

Traurige Bemerkung am Rande: Innerlich widme ich die Aktion Freude immer auch Mario. Er war ein junger Vater und hatte gerade ein Haus gebaut. Ein halbes Jahr nach der Geburt der Aktion Freude starb Mario völlig unerwartet. Danke mein lieber guter alter Freund, Dir begegnet zu sein, ehrt mich noch heute. Oft denke ich an Dich und sehe dich mit den Karten in der Hand strahlen.

Diesmal explodierte ich selbst vor lauter Freude

Wochen später stellte ich die Aktion Freude beim Barcamp Graz vor. Eine offene Veranstaltungsreihe, die ich seit Jahren mit aufbaute. Die Reaktion war grandios. Am Ende des Vortrages kam ein Kollege zu mir und erklärte, dass er die Hälfte der Druckkosten zu übernehmen gedachte, so begeistert war er. Diesmal explodierte ich vor lauter Freude und Dankbarkeit. Nicht des Geldes wegen, aber ich bemerkte zunehmend, was man alles zurück bekommt, wenn man, anstatt zu pöbeln Danke sagt.